Bei der Entwicklung des Konzepts für die „Lebensgemeinschaft Streitplatz“ standen die Ideen für individualpädagogische Auslandsmaßnahmen Pate. Hier besonders das Phasenmodel von M. Witte, bei dem die Phasen: Diagnostizieren, Delegitimieren, Neustrukturieren, Konsolidieren, Transfer und Normalisieren unterschieden werden. Der Kulturschock bei der Unterbringung im Ausland bedingt, dass verinnerlichte Strukturen aufgebrochen werden und die Notwendigkeit der Beziehungsherstellung mit dem Betreuer aufgrund fehlender, bekannter Bezugspersonen unabdingbar ist. Reflexion und unvorhergesehene Reaktionen seitens des Betreuers bewirken ein Durchbrechen der Handlungsmuster und der alten Strukturen. Neue Strukturen und Handlungsmuster können erlernt und gefestigt werden. Steigerung des Selbstvertrauens und der Selbstwahrnehmung sowie Biographiearbeit sind unterstützende Komponenten.
Unter Orientierung an diesen Phasen findet die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen in der „Lebensgemeinschaft Streitplatz“ statt. Allein schon durch das ländliche Leben auf dem Bauernhof wird bei den Kindern, die in der Regel aus Großstädten kommen, ein „Kulturschock“ hervorgerufen und gewohnte Strukturen durchbrochen. Eine enorme Bedeutung hat hier der Beziehungsaufbau zwischen Kind/Jugendlichem und Erzieher. Der Einsatz erlebnispädagogischer Elemente unterstützt das Erlernen von neuen Handlungsstrukturen. Die intensive Beziehungsarbeit wird durch den Einsatz der Tiere unterstützt.
Die Kinder und Jugendlichen fühlen sich von Menschen, mit denen sie in ihrem bisherigen Leben zu tun hatten, oft im Stich gelassen. Sie befinden sich in einer sozialen Isolation, die sie aus unterschiedlichen Gründen nicht überwinden können. Der Kontakt zu Tieren kann leichter hergestellt werden als zu Menschen. So bietet der Umgang mit Tieren den Kindern und Jugendlichen eine Möglichkeit, Kommunikation einzuüben und zu festigen. Die Kinder und Jugendlichen empfinden die Beziehung zum Tier, hier insbesondere zum Pferd, als ehrlich, da ein Tier sich nicht verstellen kann. Entsteht eine Beziehung zwischen Kind/Jugendlichem und Tier/Pferd, ermöglicht diese, wieder in eine Beziehung zum Menschen zu treten. Methode ist, die Pferdesprache zu erlernen und eine Zuverlässigkeit im Umgang mit dem Tier zu erlangen, z. B. regelmäßiges Füttern etc. Jedes Kind/jeder Jugendliche ist in die Pflege der Pferde mit einbezogen (siehe Stalldienst). Der Einsatz der Bodenarbeit legt die Grundlagen für den Umgang der Menschen mit den Pferden. Hier werden das Holen, Putzen etc. erlernt und bei der Arbeit mit dem Pferd im Roundpanel lernt das Pferd, auf sein Gegenüber zu achten und Bewegungen unter Anleitung auszuführen. Dies stärkt die Kinder/Jugendlichen enorm in ihrem Selbstvertrauen, da sie sehen, wie das Tier auf sie reagiert. Das Pferd spiegelt dem Kind/Jugendlichen sein Verhalten.
Die Tätigkeiten der Bodenarbeit und der Versorgung der Tiere wird von den Mitarbeitern der „Lebensgemeinschaft“ übernommen, nachdem sie von fachkundigen und im Umgang mit Pferden sicheren Mitarbeitern eingearbeitet wurden.
Die Heidschnucken-Herde lässt jeder Zeit ein Kuscheln und Interagieren mit den Kindern zu und spiegelt bei deren lauten und unruhigen Verhalten, dass die Tiere die Nähe der Kinder nicht zulassen.
Die Anwendung positiver Verstärkung und negativer Konsequenzen bei Problemverhalten, klare Regeln und Grenzen sowie konsequentes Umsetzen dieser, unterstützen die methodische Arbeit der Fachkräfte, ebenso wie gleichbleibende Tages- und Wochenabläufe.
Auch der Einsatz eines Verstärkersystems hilft, das Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen zu stärken und die bekannte Struktur der negativen Aufmerksamkeit zu durchbrechen. Positives bzw. erwünschtes Verhalten wird gelobt und durch Belohnungen verstärkt, so dass die Kinder und Jugendlichen lernen, dass sie mit erwünschtem Verhalten die Aufmerksamkeit bekommen, die sie gerne haben möchten. Neben individuellen Verstärkern werden auch Verstärkungen im Gruppensetting vorgenommen, so gibt es zeitweise beim sparsamen und achtsamen Umgang mit Strom ein „Energiesparkind der Woche“, welches sich eine Unternehmung aussuchen darf oder einen „Grenzeinhaltungssieger“, der es schafft, sich aus Räumen, deren Zugang nicht erlaubt ist, fernzuhalten und auch die Grenzen der Mitmenschen/Tiere akzeptiert.
Die „Lebensgemeinschaft Streitplatz“ legt Wert auf einen wertschätzenden, achtsamen und rücksichtsvollen Umgang untereinander. Der Umgang mit und Einsatz von Medien ist stark reguliert und minimiert, findet aber altersgerecht und unter Anleitung statt.
Die Kinder und Jugendlichen werden alters- und entwicklungsgemäß mit wöchentlich wechselnden Diensten in die alltäglichen Tätigkeiten der „Lebensgemeinschaft“ eingebunden. Der Stalldienst umfasst das „Abäppeln“ im Stall/Paddock, das Füttern und die Wasserversorgung der Tiere und das Fegen; der Tischdienst beinhaltet das Decken und Abräumen des Tisches, Ein- und Ausräumen der Geschirrspülmaschine und Fegen der Küche bei Bedarf; der Baddienst kontrolliert die Sauberkeit des Kinderbades am Wochenende. Alle Dienste finden in Begleitung, mit Unterstützung und Anleitung durch die Mitarbeiter, statt. Die Ausführung der Dienste ist wünschenswert und zielgerichtet und hat sowohl im Kontext des Zusammenlebens als auch zum Erlernen von lebenspraktischen Tätigkeiten einen großen Stellenwert. Jedoch muss besonders beim Stalldienst die Gemütslage des Kindes/Jugendlichen berücksichtigt werden, nicht in jeder Gemütsverfassung kann das Kind/der Jugendliche den Dienst ausführen.
Schwerpunkte unserer Arbeit sind: | |
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Gestaltung des Alltags | Feste Tages- und Wochenstruktur Rituale Wiederkehrende Angebote |
Teilnahme am Leben und Orientierung an den Strukturen des Pferdehofes | Freiwillige Übernahme von Tätigkeiten für die und mit den Pferden |
Sicherstellung von schulischen und beruflichen Bildungsmöglichkeiten | Bei Bedarf Einsatz von Integrationskräften Unterstützende LRS/Dyskalkulie Förderung |
Integration in die Dorfgemeinschaft und Teilnahme an Freizeitangeboten gemäß individuellen Wünschen | Schwimm- u. Fußballverein Jugendfeuerwehr Kirchliche Angebote |
Teilnahme an psychomotorischen Kursen in der Bewegungsschule MoBIS | Steigerung der koordinativen und konditionellen Fähigkeiten und des Selbstbewusstseins mit Spaß an der Bewegung Teilnahme an Intensivkursen |
Erlebnispädagogische Angebote | Je nach Interessen und Fähigkeiten der Mitarbeiter: z. B. Klettern, Wandern, Projekte im Wald, sportliche Challenges, Fahrradtour von Birkelbach an die Nord-/Ostsee |
Elternarbeit | Vor- und Nachbereitung von Telefon-, Besuchs- und postalischen Kontakten, begleitete Besuchskontakte |
Permanente Reflektion des Verhaltens aller Beteiligten | Einzel- und Gruppengespräche - mit den Kindern z.B. während der Mahlzeiten, in der Kinderkonferenz, allabendliche Reflektion des Tokenplans - die Mitarbeiter u.a. in der täglichen Übergabe |
Aufbau sozialer Kompetenzen | Übernahme von Tätigkeiten für die Allgemeinheit Umgang miteinander Treffen mit Gleichaltrigen |
Entwicklung einer Lebensperspektive | Auswahl der Schulform Wecken und Fördern von Hobbys/Interessen Beratung bei der Berufswahl Förderung von Sozialkontakten |
Eine therapeutische Anbindung der Kinder und Jugendlichen ist meist unerlässlich. Die Kinder und Jugendlichen sind an die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Herborn, eine kinder- und jugendpsychiatrische Praxis in Marburg oder bei Therapeuten in der Umgebung angebunden.
Schulungen durch eine Traumatherapeutin haben den Umgang der Mitarbeiter mit traumatisierten Kindern in dissoziativen Phasen sensibilisiert; das Team hat Kenntnisse über Nähe – Distanz, EMDR etc., um den Kindern und Jugendlichen aus diesen Phasen heraus zu helfen.
Die „Lebensgemeinschaft“ ist auf einem regionstypischen und aktiv betriebenen Bauernhof untergebracht und liegt am Rande von Erndtebrück-Birkelbach. Es besteht eine Kooperation mit den benachbarten Bauern; diese helfen und unterstützen bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten und nutzen im Gegenzug Unterstell- und Weidemöglichkeiten.
Das Grundstück mit zugehörigen Weiden ist ca. 45000 qm groß, das Wohnhaus mit Zwischengebäude stellt 160 qm Wohnfläche zur Verfügung, hinzukommen Stallungen, Scheunen und Garagen. Das Wohnhaus verfügt im Erdgeschoss über 1 Wohnzimmer, 1 Wohnküche mit Vorratskammer, 1 Büro, 1 Mitarbeiter-/Bereitschaftszimmer und 1 Bad. Im Obergeschoss befinden sich 4 Kinderzimmer, 1 weiteres Bad und eine Wäschekammer. Im Zwischengebäude liegen ein Werkraum/Heizungsraum, eine Waschküche und eine ehemalige Milchküche, die so eingerichtet wurde, dass die Kinder und Jugendlichen sich austoben können; hier hat der Boxsack seinen Platz. Im Garten stehen ein separates, funktionstüchtiges Backhäuschen, eine gemütliche Sitz- und Grillecke, Kletter- und Spielgeräte und ein Sandkasten zur Verfügung. Die „Fahrradgarage“ bietet Platz für die Fahrräder und Kettcars der Kinder.
Im Pferdestall, der als „Offenstall“ genutzt wird, leben zwei Islandpferde. Dazu gibt es Einzelboxen für kranke Tiere. Futter und Maschinen sind in den angrenzenden Scheunen und Garagen untergebracht. Die Kinder sind in die Versorgung der Tiere eingebunden (siehe Stalldienst); ein Reitplatz und ein Roundpanel dienen zur Arbeit mit den Pferden, ggf. zum Erlernen von reittechnischen Fähigkeiten und zur Festigung dieser unter Anleitung einer ausgebildeten, erfahrenen Reitlehrerin.
Des Weiteren leben 7 Heidschnucken und Stallkatzen auf dem Hof.
Die „Lebensgemeinschaft Streitplatz“ liegt in Birkelbach, einem Dorf mit ca. 900 Einwohnern und gehört zur Gemeinde Erndtebrück (ca. 8000 Einwohner). Birkelbach verfügt über jeweils einen Sport-, Gesangs- und Schützenverein. Des Weiteren verfügt die Gemeinde Erndtebrück über eine Vielzahl von Vereinen (Fußball-, Sport-, Wander-, Karneval-, Schützen-, Musikverein etc.), eine aktive Dorfjugend, ein Hallenbad und Wintersportmöglichkeiten. Die freiwillige Feuerwehr bietet im Rahmen ihrer Jugendfeuerwehr den Einstieg für Jugendliche. Einkaufsmöglichkeiten und Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen sind ausreichend vorhanden.
Die „Lebensgemeinschaft Streitplatz“ arbeitet seit einigen Jahren erfolgreich mit der Grundschule in Aue-Wingeshausen zusammen. Die Gemeinde Erndtebrück verfügt über eine Grundschule und über eine Realschule mit Hauptschulzweig in ca. 5 km Entfernung, die im Rahmen der Inklusion Kinder und Jugendliche mit Förderschwerpunkt aufnimmt; eine Hauptschule sowie eine Realschule in Bad Berleburg verfügen ebenso über Inklusionsklassen. Der Besuch eines Gymnasiums ist in verschiedenen Orten in 11 bis 22 km Entfernung möglich. Ein Berufskolleg befindet sich in Bad Berleburg, andere Berufsschulen in Siegen (35 km), des Weiteren gibt es folgende Schulen mit Förderschwerpunkten: Sprache, Lernen, Soziale und Emotionale Entwicklung in Bad Laasphe, für Schwerhörige, Seh- oder Sprachbehinderte in Olpe. Die Orte sind per Bus, mit der Rothaarbahn oder der Kurhessenbahn zu erreichen, beim Besuch der Förderschulen können die Kinder mit dem Taxi abgeholt werden. Ferner besteht die Möglichkeit einer Fernbeschulung über das Internet für Kinder und Jugendliche, die nicht beschulbar sind.
Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche, die aufgrund von Verhaltens- und emotionalen Störungen sowie familiärer Belastungen nicht in ihrer Herkunftsfamilie und dem sozialen Umfeld leben können und für die die klassische Form der Jugendhilfe nicht greift und bei denen Verhaltens- und emotionale Störungen, Bindungsstörungen und Trauma-Folgestörungen, damit einhergehende Persönlichkeits- und Entwicklungsstörungen wie AD(H)S, FAS, Retardierungen und familiären Belastungen (reaktiv) vorliegen.
Es gibt 4 Intensivplätze für Jungen im Alter von 7 bis 18 Jahren; das Aufnahmealter beträgt 7-10 Jahre; bei einer Aufnahme wird ausdrücklich darauf geachtet, dass das aufzunehmende Kind gut ins Gruppensetting passt.
Das Team besteht aus pädagogischen Fachkräften gem. § 72 SGB VIII in Verb. mit § 72 a; dies entspricht 4,5 Vollzeitstellen. Zusätzlich sind 1 bis 2 studentische Aushilfskräfte (1,0 Stelle) eine Hauswirtschaftskraft und ein handwerklicher Mitarbeiter in Teilzeit tätig.
Eine regelmäßige Beratung und Begleitung durch die Erziehungsleitung der Jugendhilfe HORIZONT ist gegeben, sie findet persönlich vor Ort statt und durch eine 24-Stunden-Telefonbereitschaft. Supervision ist für alle Mitarbeiter von HORIZONT verpflichtend.
Die Kinder und Jugendlichen, die von der Jugendhilfe HORIZONT betreut werden, haben eine eigene, vertrauensvolle Beziehung zu der zuständigen Erziehungsleitung.
Im Rahmen des Beschwerdemanagements ist es für alle Mitarbeiter von HORIZONT verpflichtend, dass sie jedem Kind oder Jugendlichem gestatten, ohne Nennung von Gründen, jederzeit die Eltern oder den Vormund, den/die zuständige/n ASD Mitarbeiter/in, die Erziehungsleitung von HORIZONT oder die Einrichtungsleitung anzurufen. Deren Telefonnummern, sowie die Telefonnummer der Polizei, werden den Kindern/Jugendlichen bei Aufnahme ausgehändigt. Den Kindern und Jugendlichen werden ihre Rechte bei der Aufnahme altersgerecht mitgeteilt und im Laufe der Betreuung durch die Erziehungsleitung fortlaufend in Erinnerung gerufen.
Darüber hinaus beginnt der Kinderschutz bei der Auswahl der Mitarbeiter. Neben dem erweiterten, polizeilichen Führungszeugnis, legen die Mitarbeiter eine Erklärung vor, dass sie nicht wegen einer Straftat vorbestraft sind, die für ihre Position von Bedeutung sein könnte, und dass gegen sie kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist. Es finden regelmäßig Schulungen zum Thema Kindesschutz und Gewalt psychischer und physischer Art statt.
Teil des Aufgabengebietes der zuständigen Erziehungsleitung ist es zu kontrollieren, dass weder psychische noch physische Gewalt ausgeübt wird.
Rechtsgrundlage der Hilfe ist der § 27 SGB VIII ff. in Verbindung mit den §§ 34 und 41 SGB VIII.
Das Entgelt wurde auf der Grundlage der Leistungsbeschreibung mit dem Jugendamt des Kreises Siegen-Wittgenstein ausgehandelt.
* Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass die in den Formulierungen gewählte männliche Form der Personen zur Vereinfachung der Texte gewählt wurde. Es sind aber immer die Personenformen männlich, weiblich und divers gemeint.